„Zeitzeichen“ sind für mich Uhren mit außergewöhnlicher Technik, gepaart mit einem avantgardistischen Design, die in ihrem jeweiligen Marktsegment damals (und heute) Zeichen setzten – Zeitzeichen eben.
Als Samuel Ruben in den 1940er-Jahren des vorigen Jahrhunderts die erste Quecksilberoxid-Knopfzelle für das US-Militär entwickelte, wusste er noch nicht, wie nachhaltig dies rund 25 Jahre später die Welt der Technik verändern würde.
Seine Erfindung ermöglichte zunächst nicht nur den ersten transplantierbaren Herzschrittmacher, auch Hörgeräte schrumpften plötzlich von Zigarettenpackungsgröße auf ein Maß, welches das diskrete Tragen einer Hörhilfe unter der Kleidung ermöglichte. Gleichzeitig legte Samuel Ruben und seine Firma MALLORY (heute DURACELL) mit ihren miniaturisierten, leistungsfähigen Batterien den Grundstein für die Entwicklung der Mikroelektronik, was Mitte der fünfziger Jahre zur Erfindung der ersten elektromechanischen Uhrwerke, und später zur Entwicklung der Quarzuhrwerke führte.
Rock n Roll am Handgelenk
Am 10. Oktober 1958 verließ der King of Rock ‘n Roll, aka Elvis Presley – bekannt für seine Vorliebe für auffällige Autos und ungewöhnliche Uhren – in Bremerhaven den Truppentransporter „USS George Randall“ zum Dienstantritt seiner Militärzeit in Deutschland als einfacher US G.I. Am linken Handgelenk trug er dabei eine auffällige Uhr mit einem dreieckigen Zifferblatt – eine Hamilton Electric „Ventura“.
Elektrische Uhrwerke – das Patent kam aus Deutschland
Die Technik der „Ventura“ basierte auf der Entwicklung von Helmut Epperlein, dem Besitzer der „Vereinigten Uhrenwerke Ersingen“ (VUFE, später UWERSI), der seine Erfindung 1958 als deutsches Gebrauchsmuster anmeldete.
Hamilton arbeitete mit Epperlein seit 1955 eng bei der Entwicklung elektrischer Uhren zusammen. 1957 brachte man mit der „Hamilton Electric 500“ überstürzt und mehr oder weniger noch im „Prototypenstadium“ eine Uhr mit elektromechanischen Uhrwerk auf den US-Markt, um sich als der erste Anbieter dieser neuen Technologie feiern zu können.
Doch die exotische Bauweise der Werke und die damit stark eingeschränkte Zuverlässigkeit des Kalibers 500 und der überarbeiteten Nachfolger (500A, 501, 502) ruinierten fast den Ruf und die Finanzkraft Hamiltons. Erst das Kaliber 505 konnte 1959 – verbunden mit erheblichem Aufwand in Form von Marketing und PR – den Ruf des Unternehmens und das Vertrauen in die neue Technik ansatzweise wiederherstellen.
Das Werk: Unruh mit Spule – und „Überlandleitungen“
Auffällig an der Technik des Werkes ist die breite Spule auf der Unruh, welche das Kernstück des elektromagnetischen Antriebs des Schwingsystems darstellt. Eine „Überlandleitung“ mit zwei langen Drähten versorgt die Spule mit der notwendigen Spannung, und ein exotisch gebogener langer Draht dient als Batteriebügel für die Knopfzelle.
Die langen und feinen Drähte zur Versorgung der Spule waren die hauptsächlichen Wurzeln des Übels, da sie empfindlich auf schwere Stöße reagierten. Auch wurden diese Drähte bei einem Batteriewechsel, der aufgrund der schwachen Leistung der Batterie viel öfter als geplant vorkam, durch unvorsichtiges Hantieren mit dem langen „Batteriebügel“ oft verbogen oder zerrissen, was einem Totalschaden gleichkam.
Ein Uhrmacher war mit der Reparatur oft überfordert, wodurch viele Uhren zur Reparatur an den Hersteller gehen mussten. Was wiederum das Vertrauen der Besitzer in ihre Uhren natürlich nachdrücklich untergrub.
Nachdem das deutlich verbesserte Kaliber 505 die unzuverlässigen Kaliber der Baureihen 500 bis 502 abgelöst hatte, baute Hamilton die Uhr – speziell als die von Richard Arbib eigenwillig designten Modelle „Ventura“ und „Pacer“ – noch bis zum Ende der sechziger Jahre. Obwohl Bulova mit der „Accutron“ bereits 1960 einen starken Rivalen ins Feld schickte, welcher der Hamilton sehr zu schaffen machte.
Die „Pacer“ als auch die „Ventura“ unterschieden sich optisch hauptsächlich in der Zifferblattform und der Gehäusefarbe. Die „Ventura“ hatte ein etwas länglicher geformtes Dreieckszifferblatt, während das Dreieck der „Pacer“ gleichschenklig war. Außerdem hat man bei der „Ventura“ das Gehäuse und Armband progressiv in Bicolor ausgelegt, während die „Pacer“ mit ihren einfarbigen Gehäusen und Bändern etwas konventioneller daherkam.
Je nach Bandmaterial unterstrichen die außergewöhnlichen, teilweise in die Gehäuseform übergehenden kleinen Kunstwerke der Bandanstöße die ausgefallene Dreiecksform der Zifferblätter beider Uhren.
In den mehr als zehn Jahren der Produktion hat Hamilton eine Vielzahl unterschiedlicher Gehäuseformen und Materialkombinationen entwickelt, welche alle zu beschreiben den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde.
Die Ersatzteillage – Finger weg oder zugreifen?
Die Versorgungslage mit Ersatzteilen für die alten Werke 500-505 kann man leider nur als desolat bis katastrophal bezeichnen. Durch die überwiegende Reparatur beim Hersteller fanden so gut wie keine Ersatzteile den Weg in den Großhandel oder zum Uhrmacher.
Die durch ständigen Ausfall besonders nachgefragten Teile sind alle nicht mehr zu bekommen. Auch der exotische Batteriebügel ist (bereits ehemals nachgebaut) nicht mehr verfügbar. Das macht die Frage nach dem Sinn und der Möglichkeit der Restauration zum Beispiel eines defekten „eBay-Schnäppchens“ zu einer rhetorischen Frage.
Steht einem also der Sinn nach einer absolut exotischen Schönheit mit dem Look & Feel von Rock’n Roll, Hula-Hoop und dem „Space-Age“ Design der 1950er-Jahre, so sollte man eher zu den seit Ende der 1990er-Jahre neu aufgelegten Modellen der Ventura greifen. Waren diese zuerst noch mit zuverlässigen Quarzwerken von ETA angetrieben, so ticken in den Spitzenmodellen der aktuellen Modellreihe überwiegend mechanische ETA Automatikwerke.
Der abschließende Tipp lautet also: So schön und außergewöhnlich die frühen Vintage-„Venturas“ auch sein mögen – langfristig wird man an den neueren Modellen die größere Freude haben. Auffällige Zeitzeichen sind sie aber allesamt. Das gilt auch für die ganz neuen Modelle, die sogar eine Nebenrolle in der Filmreihe „Men in Black“ ergattern konnten.
Über den Autor
Thomas Krim ist einer der letzten Furnituristen Deutschlands – ein Spezialist und (Groß-)Händler in Sachen Uhrenersatzteile, Uhrmacherbedarf und Uhrenzubehör.
Er ist Inhaber des 1898 gegründeten Unternehmens „Ernst Westphal“ und des angeschlossenen Online-Shops Watchtparts24.
Im WatchPro-Artikel „Der Herr der Teile“ haben wir Thomas Krim bereits porträtiert.
Als passionierter Sammler von Vintage-Uhren stellt er nun einige seiner persönlichen Favoriten vor, gibt Tipps und Einblicke.
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