Casiotron, C80, Frogman & Co.

Casio scheint vielen am wenigsten japanisch von der großen Uhrenherstellern aus dem Land der aufgehenden Sonne – vermeintlich am wenigsten zurückhaltend und bescheiden.

Das mag daran liegen, dass der Konzern mit dem Einstieg in das Armbanduhren-Segment vor genau 50 Jahren mit seinerzeit teils spektakulären Funktionen wie Taschenrechner und Digitalkamera sofort eine junge und Lifestyle-orientierte Klientel ansprach, in deren Lebenswelt Auffallen zum guten Ton gehörte.

Spätestens mit der Einführung der Marke G-SHOCK im Jahr 1983 stand das Unternehmen für innovative und stylishe Zeitmesser, mit denen man seine Coolness am Handgelenk zur Schau tragen konnte.

Dennoch ist Casio ein zutiefst japanisches Unternehmen, bei dem Fleiß, Leistung und Strebsamkeit ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. Und das hatte Folgen, wie die vielen Meilensteine in der 50-jährigen Geschichte des Unternehmens belegen.

Die 1970er-Jahre

Dieses Jahrzehnt war grundlegend für den 1946 von Tadao Kashio (1917-1993) als kleiner Elektronikbetrieb gegründete, heutige Weltkonzern Casio. 1957 spezialisierten sich die Brüder Tadao, Toshio, Kazuo und Yukio Kashio schließlich mit der Casio Computer Co. Ltd. auf Rechenmaschinen und Tischrechner.

Im Grunde genommen „addieren die Uhren einfach die Sekunden“. Diese aus dem Segment der Taschenrechner inspirierte Erkenntnis legte den Grundstein für das heutige Uhrengeschäft von Casio.

In technischer Hinsicht übertrug man die Rechenleistung des Taschenrechners auf das Uhrensegment.

Und so kam 1974 mit der „Casiotron“ die erste digitale Armbanduhr der Marke auf den Markt, welche zugleich die weltweit erste digitalen Uhr mit Kalender mit automatischer Anpassung an längere und kürzere Monate war.

Die „Casiotron“ war damals übrigens ein echtes Luxusprodukt, denn sie kostete 58.000 Yen, fast ein ganzes Monatsgehalt für einen Universitätsabsolventen in Japan im Jahr 1974.

Die Nachfrage war dennoch so groß, dass die Fabrik in Hachioji zwei Jahre später von der Produktion von Rechenmaschinen auf die Herstellung von „Casiotron“-Uhren umgestellt wurde. Schnell wurde deren Funktionsvielfalt vergrößert und weitere Multifunktionsuhren lanciert.

Das Geschäft mit Zeitmessern lief so gut, dass Casio 1978 in Tokio das Hamura Forschungs- und Entwicklungscenter zur Grundlagen- und Breitenforschung eröffnet, um die Entwicklung neuer Uhren zu unterstützen. Ein Jahr später nahm die Yamagata Casio Co. Ltd. mit modernen und automatisierte Produktionslinien den Betrieb auf.

Die 1980er-Jahre

Dieses Jahrzehnt kennzeichnet den Übergang zwischen der – aus heutiger Sicht – analogen Geruhsamkeit und der geschäftigen digitalen Welt seit den Anfängen des Internets in den 1990er-Jahren. In deisem Jahrzent erschien nichts unmöglich und nichts zu verrückt – man ließ der Kreativität freien Lauf. Auch bei Casio. Es entstand ein Füllhorn an Uhren mit viel Funktionalität, die mal mehr und mal weniger alltagstauglich war und viel Smartness vorweg nahm.

Darunter befanden sich Casios erste Digitaluhr mit einer Wasserdichtigkeit bis 20 Bar, die erste Armbanduhr mit eingebautem Thermometer, die erste analog-digitale Kombinationsuhr von Casio mit drei Zeigern, die erste Solaruhr der Marke, LCD-Displays mit Analog-Digital-Anzeige und die „CGW-50“, welche die Positionen der neun Planeten unseres Sonnensystems anzeigte.

Zu den Highlights, an die sich wohl noch alle damals Schulpflichtigen erinnern, gehörte die Taschenrechner-Uhr, deren erste Version 1980 eingeführt wurde – mehr Coolness auf dem Schulhof ging nicht.

Die „C.80“ hatte ein Tastenfeld, das mit der Fingerspitze bedient werden konnte und das alle vier arithmetischen Operationen bis zu acht Ziffern ermöglichte. Darüber hinaus könnte der Schaltkreis des Finger-Touch-Systems (FTS) feststellen, welche Taste wahrscheinlich gemeint ist, wenn der Benutzer zwei oder mehrere Tasten gleichzeitig gedrückt hatte.

KI ließ grüßen. 1983 kamen mit der „CFX-200“ weitere Berechnungsfunktionen und mit der „TC-500“ eine Touchscreen-Funktion hinzu.

Weitere Uhren dieses Casio-Jahrzehnt belegen die Innovationskraft des japanischen Unternehmens. Dazu gehörten Modelle mit Schrittzähler, fotoelektronischer Plusmessung, Funktion zur Ermittlung des Kalorienverbrauchs, Barometer, Kartenmessfunktion, Übersetzer und Telefonnummernspeicher.

Es gab sogar ein Modell, das eine Telefonnummer in eine Tonfolge umwandelte, welche an ein damals übliches Tastentelefon übertragen werden konnte. Die Wahl der betreffenden Nummer erfolgte dann automatisch. Futuristisch erschien zudem das Modell „TM-100“ von 1987, mit dem der Benutzer seine eigene Stimme über Radiolautsprecher wiedergeben konnte.

Richtungsweisend war aber vor allem auch das Jahr 1983, als mit der „DW-5000C“ die allererste G-SHOCK auf den Markt kam – in einer Zeit, als Uhren von den meisten als empfindliche Instrumente betrachtet wurden.

Diese Überzeugung stellte die neue Marke von Casio nicht nur in Frage, sondern auf den Kopf, und definierte als obersten Qualitätsmaßstab das Überstehen von Stürzen und Stößen – verbunden mit weiteren Zusatzfunktionen.

Im Jahr 1984 lieferte Casio übrigens die 100-millionste Uhr aus. Und da war ein Beststeller noch gar nicht auf dem Markt. Die „F-91W“ war in funktionaler und auch optischer Hinsicht vergleichsweise wenig spektakulär. Einfach abzulesen, einfach zu bedienen, einfach zu tragen – dazu gesellte sich ein umfangreiches Sortiment an Gehäusen und Bändern. 

Ob es die bis heute meist verkaufte Casio-Uhr ist, verrät die Marke nicht, bezeichnet sie aber als ihre kultigste Referenz.

Dier 1990er-Jahre

Mit ihrem dynamischen Produktgeschehen passten die Uhren von Casio hervorragend in dieses bewegte Jahrzehnt samt Wiedervereinigung, Techno, aufkommenden Outdoortrends, dem Einzug des PCs ins Private, Dinks und überfüllter BWL-Vorlesungen an den Universitäten.

Die Weiterentwicklung der „Data Bank“-Uhr entsprach vor allem dem Zeitgeist der letzteren Gruppen perfekt. Sie hatte ein großes Vollbild-Dotmatrix-LCD, welches Grafiken einschließlich einer Weltkarte sowie Buchstaben, Zahlen und japanische Katakana-Zeichen anzeigen konnte.

Später kam eine aufklappbare Version hinzu – die Assoziation zum Klapphandy liegt nahe –, bei der die Zeit auf dem analogen Zifferblatt abgelesen werden konnte, während das digitale Display mit einem numerischen Tastenfeld ausgestattet war. Mit der „DBCV50“ waren ab 1999 auch Audioaufnahmen möglich.

1998 stellte Casio die „HBX-100“ mit infrarotbasierter PC-Verbindung vor, sodass Daten zwischen den Geräten ausgetauscht werden konnten, einschließlich Zeitplänen, Telefonbüchern und Aufgabenlisten.

Das Smartphone ließ grüßen, obwohl dessen Siegeszug noch nicht absehbar und der Begriff selbst erst ein Jahr später von Ericsson geprägt wurde.

In puncto „Gesundheits- und Outdoor-Apps“ kamen unter anderem optischer Blutdruckmesser, Puls-kontrollfunktion, Fettverbrennungsrechner, Kompass und Sensoren zur Messung von Höhe, Luftdruck, Richtung und Temperatur hinzu.

Der Erfolg der Outdoor-Uhr „ATC-1100“ von 1994 führte schließlich 1995 zur Einführung der Marke PRO TREK. Im selben Jahr erschien außerdem die erste „Frogman“ von G-SHOCK, die mit einer Wasserdichtigkeit bis 20 Bar für ernsthafte Tauchgänge konzipiert war, sowie die erste BABY-G, eine robuste Uhr für Frauen.

Die „MRG-100“ von 1996 kennzeichnet einen weiteren Meilenstein für Casio. Das MR im Namen steht für Majesty and Reality (Majestät und Realität).

Die Umstellung von Kunstharz auf Vollmetall ohne Einbußen bei der Stoßfestigkeit gelang unter anderem dank der speziellen Pufferung zwischen der Metalllünette und dem Gehäuse. Heute ist die „MR-G“ von G-SHOCK.

Aber auch schrägerer Funktionen ersannen die Ingenieure von Casio in den 1990er-Jahren.

Dazu gehörte eine Uhr mit TV/VCR-Fernbedienungsfunktionen genauso wie die „TSR-100/TSR-110“ mit einem speziellen Sensor zur Messung der Oberflächentemperatur von Gegenständen, die „ABX-51“ mit „magischer Anzeige“ digitaler Daten auf dem Uhrenglas und die Cyber Cross Spieluhr „JG-100“, die mit einer optischen Infrarot-Kommunikationsfunktion ausgestattet war

Die 2000er-Jahre

Billigflieger, Google und Gentechnik, Magermodels und Marsmissionen – das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends war turbulent und von Umbrüchen geprägt. Auch die Nutzung digitaler Medien erreichte in diesem Jahrzehnt eine neue Qualität.

Bei Casio schritt die technische Entwicklung ebenfalls unaufhaltsam fort. Um Hören und Sehen ging es gleich zu Beginn, und zwar mit der ersten Armbanduhr mit Digitalkamera. Nach der „WQV-1“ mit Schwarz-Weiß-Display erschien ein Jahr später die „WQV-10“ mit Digitalzoom-Funktion und Farb-Display.

Um den Hörsinn ging es im Jahr 2000 bei der „WMP-1“. Ein Jahr bevor der erste iPod von Apple erschien hatte man mit dieser Casio-Uhr bereits einen MP3-Player fürs Handgelenk. Die Uhr wurde damals als bester MP3-Player am Markt getestet.

Dass Casio in vielen Fragen der Digitalisierung des Alltags seiner Zeit voraus war, belegte im Jahr 2004 das G-SHOCK-Modell „GWS-900“ mit IC-Chip zur kontaktlosen ID-Verifizierung. Besitzer dieser Uhr können an Selbstbedienungstankstellen mit dem elektronischen Bezahlsystem Speedpass tanken, indem sie einfach die Uhr an den Terminal hielten, um bargeldlos zu bezahlen.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends schaffte es neben der Digitalisierung ein weiteres Thema immer mehr ins Bewusstsein der Menschen: Nachhaltigkeit. Mit ihrer Tough-Solar-Technologie hatte Casio schon seit den 1980er-Jahren die passende Antwort parat. Eingebaute Solarzellen fangen dabei das Umgebungslicht ein – egal ob natürlicher oder künstlicher Quelle – und wandeln dieses in Energie um. Überschüsse werden in einem Akku gespeichert.

In den 2000er-Jahren kombinierte Casio diese nachhaltige Form der Energiegewinnung mit seiner Funkuhren-Technologie. Ein Beispiel ist die „WVA-300“, eine solarbetriebene Uhr mit Funksteuerung. Und damit machte sie sowohl die Zeiteinstellung als auch den Batteriewechsel überflüssig. Und auch G-SHOCK kam in den Genuss der Funksteuerung und des Solarantriebs.

Selbstverständlich versorgte Casio in diesem Jahrzehnt ihre sportliche Klientel weiter. Highlight war im Jahr 2005 die Laufuhr „CHR-100“ mit Brustgurt zur Herzfrequenzmessung und drahtloser Übertragung der Daten an die Uhr,

Ein relevantes Ereignis in der Entwicklung zum Multimarkenunternehmen fand gleich zu Beginn des neuen Jahrtausends statt. Mit der „EF-100“ erschien 2000 die allererste Edifice. Die Marke war bewusst als rein analoge Marke konzipiert. Die Kollektion etablierte sich schnell in Welt des Motorsport und machte mit anspruchsvollen Chronographen mit Funktionen wie 200-Runden-Speicher sowie dem Markenmotto Speed & Intelligence von sich reden.

Dier 2010er-Jahre

Spätestens ab 2010 war der Siegeszug des Smartphones nicht mehr aufzuhalten. Teile der Uhrenindustrie sahen dies als Gefahr an und befürchteten, dass herkömmliche Uhren immer weniger gefragt sein würde.

Casio ließ sich davon wenig beeindrucken und nutze den Fortgang der Alltags-Digitalisierung für die eigene Produktentwicklung. Und so erschien 2012 mit der „GB-6900“ die weltweit erste Uhr mit Bluetooth-4.0-Konnektivität zur Kopplung mit einem Smartphone. Neben der automatischen Anpassung der Uhrzeit an die Daten des Smartphones lieferte es auch Benachrichtigungen über eingehende Anrufe, E-Mails und mehr.

Das Debüt dieser Uhr öffnete die Tür zu einer ganz neuen Generation von Armbanduhren, welche den Komfort eines Smartphones mit der Tragbarkeit einer Armbanduhr verband.

Die entsprechenden Technologien entwickelt Casio bis heute weiter und setzt sie bei vielen Uhrentypen ein. Und so folgte bereits zwei Jahre später die „EQB-500“ von Edifice. Es war der erste analoge Casio-Zeitmesser mit einem Smartphone-Link, der darüber hinaus über Solar Technologie verfügte.

Casio ging den eingeschlagenen smarten Weg weiter, ohne die DNA als echte Uhrenmarke zu verwässern. Ein Beispiel ist die „STB-1000“, welche sich via Bluetooth mit Smartphone-Fitness-Apps synchronisieren konnte, um Benachrichtigungen anzuzeigen und persönliche Fitnessdaten abzurufen.

2016 kam dann die erste Outdoor-Uhr der Marke mit dem Betriebssystem Android Wear OS auf den Markt. Sie bot unter anderem Funktionen zur Aktivitätsmessung beim Wandern, Radfahren und Angeln, die über die spezielle Casio-App oder andere Android-Apps genutzt werden konnten.

Eine weitere Technologie hielt in diesen Jahren Einzug bei Casio: GPS. 2014 wurde die weltweit erste funkgesteuerte GPS-Hybriduhr mit Solarantrieb lanciert. Die „GPW-1000“ verwendete beide Zeiterfassungssysteme und nutzte außerhalb der Reichweite der sechs Atomuhren die Zeit- und Standortdaten von GPS-Satelliten, um überall auf der Erde eine genaue Zeit zu gewährleisten.

Zu den zukunftsweisenden Meilensteinen in dieser Zeit gehörten aber nicht nur Uhren, sondern auch die Optimierung der Produktion. 2012 erreichte die Premium Production Line in der japanischen Stadt Yamagata ihre volle Kapazität. Sie war eingerichtet worden, um die „MR-G“-Linie und andere High-End-Uhren herzustellen. Sechs Jahre später wurde hier außerdem eine Anlage für die Herstellung von Bauteilen und Fertigprodukten eröffnet.

Apropos Produktion: 2017 feierte Casio die Auslieferung der 100 millionste G-SHOCK. Bis heute hält die Nachfrage ungebrochen an und mittlerweile ist die 1983 gegründete Marke eine der wichtigsten Säulen des Uhrensegments des japanischen Konzerns und prägt die Sortimentspolitik des laufenden Jahrzehnts.

Antje Heepmann

Nach dem Studium der Germanistik begann ich 1999 meine journalistische Laufbahn als Volontärin beim Branchenmagazin „U.J.S. Uhren Juwelen Schmuck ”. Bis 2018 blieb ich zunächst als Redakteurin und...

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