Angesichts der langen Historien vieler Schweizer Marken nehmen sich die 50 Jahre seit der ersten Armbanduhr von Casio recht kurz aus. Schaut man aber sich die Vita des japanischen Uhrenherstellers genauer an, dann reicht dessen Kreativität und Innovationskraft locker für ein ganzes Jahrhundert aus – oder mehr.
Aber auch der Schwenkzur Quantität beeindruckt. Seit der „Casiotron“ im Jahr 1974 hat Casio sage und schreibe 1.657.500.000 Uhren ausgeliefert.
In Worten: eine Milliarde, sechshundertsiebenundfünfzig Millionen, fünfhunderttausend. Viele davon waren G-SHOCKs. 2017 knackte die 1983 ins Leben gerufene Marke die 100-Millionen-Marke.
Und es werden kontinuierlich mehr, um genau zu sein, 38 Millionen pro Jahr. Deren Geburtsstätten liegen in Japan, China und Thailand und finden von dort ihren Weg in über 140 Ländern.
Mit WatchPro blickten Marc Czemper (Division Manager Watch Division von Casio Europe) und Rodja Schultz (Sales Manager Watch Division von Casio Europe) auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der japanischen Uhrenmarke.
WatchPro: Das Motto von Casio lautet „Going beyond Time”. Welche Philosophie steckt dahinter?
Marc Czemper: Unserem Firmen-Credo „Kreativität & Beitrag“ folgend entwickeln wir Produkte – wo immer es geht – mit Zusatznutzen. Uhren, die weitere Funktionen über die Zeitanzeige hinaus bieten, wie Beleuchtung oder gar Bluetooth-Konnektivität für eine einfachere Bedienbarkeit.
Das ist die Betrachtungsweise aus der Produktperspektive.
Natürlich sehen wir auch, dass das Design vieler unserer Produkte Modetrends überdauert oder mitbestimmt und so gewissermaßen zeitlos wird. Das gilt vor allem für unsere „Vintage Collection“.
WP: Ikonisch ist ein in der Uhrenbranche gern verwendeter Begriff. Welches ist die ikonischste Uhr von Casio?
Rodja Schultz: Die eine „ikonischste“ Uhr sehe ich bei uns nicht. Aber neben sehr vielen anderen Modellen der letzten 50 Jahre kann man sicherlich die „A168“, die „CA-53“ oder auch die „F-91“ als Kultmodelle herausstellen, wenn wir über Casio sprechen.
WP: Und bei G-SHOCK?
RS: Hervorzuheben sind hier die ersten Modelle, die 1983 den Markt in Form der „DW-5000“ eroberten und noch heute erhältlich sind – mittlerweile in zahlreichen Ausstattungsvarianten. Dazu gehören Bluetooth-Konnektivität zur Bedienung via Smartphone oder Solar und wertige Materialien wie Volledelstahl, Carbon und hochwertige Titan-Legierungen im vierstelligen Preisbereich.
WP: Taschenrechner, Translator, Pace-Setting, Touchscreen, Telefonnummernspeicherung, Terminplaner, Pulsmesser, Telefonwählfunktion, Blutdruckmesser … viele Funktionen heutiger Smartphones und Smartwatches hatte Casio bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren in Uhren integriert. War die Zeit für solche Funktionen schon reif?
RS: Ja, es gab bereits vor Jahrzehnten Casio-Uhren mit Funktionen, die heute für Smartphone-Anwender nichts Besonderes mehr sind.
Auch das resultiert aus unserem Firmen-Credo „Kreativität & Beitrag“.
Und viele dieser Entwicklungen waren sehr erfolgreich, etwa die Taschenrechneruhr. Noch heute ist das Modell angesagt.
Auch weitere Ideen, unter anderem der Pulsmesser, überdauerten die Zeit und sind noch immer in unseren Uhren zu finden. Andere Funktionen hingegen wurden später gerade durch die Erfindung des Smartphones obsolet.
WP: Gab es auch Modelle, bei denen man zu sehr Out of the Box gedacht hat?
RS: Kann man zu sehr „Out of the Box“ denken? Ist das nicht eine Voraussetzung für Innovation?
Noch vor der Markteinführung des iPods gab es beispielsweise eine Uhr, die mit dem MP3-Verfahren Musik abspielen konnte, dem heute dominierenden Verfahren zur Speicherung und Übertragung von Musik auf Computer & Co.
Das war leider zu einer Zeit, als die Speicherkapazität in der Uhr für dieses Format nicht ausreichend und so auch der praktische Nutzen eher gering waren – da waren wir tatsächlich zu früh.
Aber auch diese Uhr ist heute noch vielen im Gedächtnis, leistet einen Beitrag zur Image-Bildung unserer Marke und bleibt Zeugnis unseres immerwährenden Innovationsbestrebens.
WP: Welche Entwicklung war besonders entscheidend für den Erfolg von Casio?
MC: Vor 50 Jahren war Casio gleich am Anfang der Digitalisierung der Uhren mit dabei. Diese Uhren waren die ersten, die wirklich die schon benannten Zusatznutzen hatten. Sei es ein automatischer Kalender, Beleuchtung oder die Stoppuhr-Funktion.
Innovationen allein aber sind nicht die einzigen Faktoren für den Erfolg. Nicht zu vergessen ist seit jeher das gute Preis-Leistungs-Verhältnis. Der Konsument erhält bei uns eine Uhr zu einem erschwinglichen Preis mit einer ausgesprochen hohen Verarbeitungsqualität und Lebensdauer.
Das freut nicht nur den Konsumenten, sondern ist auch für den Wiederverkäufer ein unschlagbares Argument.
WP: Wie sieht es mit Funk und Bluetooth aus? Welche Technologie wird das Rennen machen?
RS: Um eine Vielfalt von Funktionen abzudecken, ist Bluetooth sicherlich die vielseitigere Technologie. Aber gerade in Deutschland spielt Funk nach wie vor eine wichtige Rolle. Daher führen wir immer noch Funkmodelle, die unabhängig vom Smartphone nutzbar sind. Hier lassen wir gern den Konsumenten entscheiden.
WP: Ein Megathema unserer Zeit ist die Nachhaltigkeit. Wie verhält sich Casio dazu?
MC: Alles, was auf Nachhaltigkeit einzahlt, hat große Bedeutung und wird immer wichtiger werden. Einen Beitrag hierzu leisten wir unter anderem, indem wir schon vor einiger Zeit begonnen haben, sukzessive die Verpackungen auf recycelbare Materialien umzustellen. Wir bieten zudem viele Modelle mit einem Solarmodul an, welches den Austausch von Batterien und damit deren Entsorgung unnötig macht. Überdies erreicht der Anteil der biobasierten und recycelten Grundstoffe mittlerweile 30 Prozent. Und dieser Weg ist längst nicht zu Ende.
RS: Tough Solar, also der Betrieb einer Uhr mithilfe Sonnenenergie ohne Wegwerf-Batterien, ist ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung neuer Modelle. Sukzessive bauen wir in unseren Sortimenten diese Technologie aus und arbeiten daran, noch leistungsfähigere Module zu entwickeln.
WP: Casio und Mechanik – ist das denkbar?
MC: Betrachtet man die Casio-Historie mit allen ihren Innovationen, so klingt „Mechanik“ auf den ersten Blick eher als ein Rückschritt.
Aber wäre es nicht grandios, wenn es einmal eine mechanische G-SHOCK gäbe, die genauso robust gwäre wie eine elektronische G-SHOCK? Eine mechanische G-SHOCK, die auch nach einer Erschütterung immer noch die richtige Zeit anzeigt und es keiner Revision des Kalibers bedarf?
WP: Welches sind denn die aktuell größten Herausforderungen für die gesamte Uhrenindustrie?
MC: Wir befinden uns in einem Verdrängungsmarkt. Hinzu kommt die Hinwendung vieler Nutzer zu Smartwatches. Das bedeutet, dass die „normale“ Uhr heute oft eher ein Accessoire ist, ein Ausdruck des persönlichen Stils.
Zudem müssen wir verstehen, dass sich das Profil der Endkonsumenten in puncto Customer Journey stark verändert hat, und er bereits über viele Vorinformationen verfügt.
Wir als Hersteller müssen also Wege finden, uns mit unseren Produkten zu differenzieren. Wir als Casio schaffen das, weil wir internationale Strahlkraft haben und dort kommunizieren, wo wir den (neuen) Konsumenten treffen, zum Beispiel in den sozialen Medien.
Bei G-SHOCK reden wir von einer Marke mit einer vollkommen eigenständigen DNA. So ist eine G-SHOCK kaum zerstörbar und wesentlich stabiler als wohl die meisten anderen Uhren auf dem Markt.
Aber auch alle anderen Zeitmesser aus dem Hause Casio bieten dem Konsumenten einen Mehrwert, sei es durch den Einsatz nachhaltiger Materialien und Technologien, oder einfach durch die Qualität.
WP: Stationär, Online, Omnichannel, Boutiquen – welche Vertriebsstrategie verfolgt Casio?
RS: Im Grunde haben Sie das schon hervorragend zusammengefasst. Unser Bestreben ist es, möglichst überall dort präsent zu sein, wo sich der Konsument befindet. Wir erwarten nicht, dass er zu uns kommt, wir kommen zu ihm.
WP: Citizen und Seiko, die in diesem Jahr ebenfalls Jubiläen feiern, haben jeweils eine Premium-Marke im Sortiment, die auch international vermarktet wird. Wie sieht es bei Casio aus?
MC: Wir beschreiten bereits einen sehr ähnlichen Weg, ohne aber daraus schon jetzt eine eigenständige Premium-Marke zu machen.
Das Top-Segment von G-SHOCK wird unter dem Kürzel „MR-G“ geführt. Hier bieten wir sehr luxuriöse Uhren an, gespickt mit anspruchsvoller Technologie. Das Besondere ist deren Beschaffenheit bezüglich außergewöhnlicher und hochwertigster Materialien.
Ein Beispiel ist Cobarion, eine Legierung, die sich durch hervorragende mechanische Eigenschaften, Verschleiß- und Korrosionsbeständigkeit sowie Biokompatibilität auszeichnet.
Diese Legierung wird daher in biomedizinischen Anwendungen eingesetzt. Und zu welchen Produkten passt ein solches Material besser als zu einer „MR-G“ der Marke G-SHOCK, dessen DNA ja gerade die Robustheit und Langlebigkeit ist?
Nicht zu vergessen ist die aufwendige Verarbeitung und Oberflächenveredlung. Gerade hier spielen limitierte Modelle eine große Rolle. Da geht es unter anderem um handgefertigte Verzierungen, basierend auf japanischen Vorbildern. Wir fassen das unter dem Begriff CMF zusammen: Color, Material, Finish. Dieses Zusammenspiel macht diese Uhren zu etwas ganz Besonderem – einem Zusammentreffen von traditioneller japanischer Handwerkskunst mit der Moderne.
WP: Weshalb steht G-SHOCK so im Fokus?
RS: G-SHOCK hat eine im Markt einzigartige DNA. Sie ist quasi kaum zerstörbar und auch die Designs sind sehr eigenständig. Inspirationen finden die Designer unter anderem im Manga – in der westlichen Hemisphäre derzeit ein Modetrend, in Japan seit jeher eine künstlerische wie literarische Ausdrucksform, die sich in vielfältiger Art im Alltag des Landes wiederfindet.
WP: G-SHOCK hat 2023 40. Geburtstag gefeiert. Noch immer ist das erste Modell Kult. Aber mittlerweile gibt es auch viele neue Ausführungen, auch in einer gehobenen Preisklasse. Wie viel ursprüngliche DNA steckt noch in der Marke?
RS: In jeder G-SHOCK steckt zu 100 Prozent diese DNA. Alle G-SHOCK-Uhren sind bis 20 Bar wasserdicht, haben mindestens ein Mineralglas und sind quasi unzerstörbar und somit ein verlässlicher Begleiter in allen Lebenslagen. So unterschiedlich die Ansprüche oder die finanziellen Möglichkeiten der Konsumenten sind, so unterschiedlich sind Ausstattung, die verwendeten Materialien und damit auch die Preise.
WP: Der Name G-SHOCK klingt alles andere als Japanisch. Ist das eigentlich ein Vor- oder Nachteil?
RS: Der Name G-SHOCK ist eine Art Anglizismus und bildet sehr gut die Kern-DNA der Marke ab: G steht für Gravity, also Erdanziehungskraft , und SHOCK für die sogenannte „shock resistance“. International ist das sicherlich kein Nachteil.
Ich bin aber davon überzeugt, dass auch eine andere Namensgebung dem Erfolg der Marke keinen Abbruch getan hätte. Dafür sind diese Uhren zu eigenständig in Funktion und Design.
WP: Nutzen Sie dennoch die japanische Herkunft beim Marketing?
RS: Ich denke, Produkte aus Japan stehen immer für sehr hohe Qualität. Und das gilt selbstverständlich auch für Uhren. Mit dem Attribut „japanisch“ können wir uns also in gewisser Hinsicht abgrenzen. Auffällig in den vergangenen Jahren ist das gewachsene Interesse an Japan allgemein.
WP: Die wenigsten G-Shock-Besitzer stellen die berühmte Stoßfestigkeit ihrer Uhr wirklich auf die Probe. Oder?.
RS: Da muss ich widersprechen. Der G-SHOCK-Träger testet seine Uhr jeden Tag, aber ohne es zu merken.
Der Handwerker trägt sie während der Arbeit, Tennisspieler und Motorradfahrer legen sie ebenfalls nicht ab. Und alle diese Uhren laufen einwandfrei weiter. Jeder, der eine G-SHOCK sein Eigen nennt, weiß um diese Eigenschaft und schätzt diese. Sie ist DER Kern-Zusatznutzen für den Träger.
WP: Um Baby-G scheint es etwas ruhig geworden zu sein. Woran liegt das? Spielen Damen keine so große Rolle mehr für G-Shock?
RS: Der erste Teil der Frage kann vielleicht für Europa mit Ja beantwortet werden. Vor allem im asiatischen Raum gilt dieses aber nicht.
Den zweiten Teil der Frage kann ich sehr deutlich mit Nein beantworten. Der Anteil der an G-SHOCK interessierten Damen wächst. So sehen wir heute sogenannte Herrenmodelle immer häufiger an Handgelenken von Damen.
WP: Kommen wir zu Edifice. Die Marke ist im Jahr 2000 als rein analoger Part im Casio-Sortiment angetreten. Wofür steht die Marke heute?
RS: Das Grundkonzept ist unverändert. Wir sprechen hier immer noch von Edelstahluhren im analogen Gewand mit einer Wasserdichtigkeit von mindestens zehn Bar und Mineral- oder Saphirglas.
Das Sortiment kann man in zwei Sparten einteilen: „Speed and Intelligence“ beschreibt die Nähe zum Autorennsport, sei es durch das Design, die Ausstattung oder auch durch die Wahl des Materials wie Carbon für die Gehäuse. Ich nenne die 2. Sparte „Classic“. Hier werden traditionelle Designs mit Technologien wie Tough Solar und hochwertigen Materialien wie Saphirglas kombiniert. Edifice bietet somit auch Liebhabern von traditionellen beziehungsweise traditionell-sportlichen Designs Uhren zu einem sehr guten Preis-Leistungs-Verhältnis.
WP: „Casio Timeless“ und „Casio Vintage“ – welche Rolle spielen diese Linien im Casio-Universum?
RS: Mit Ihnen erfolgte der Eintritt von Casio in die Welt der Uhren und begründete den Erfolg. Heute spricht man gern etwas despektierlich vom „Brot und Butter-Geschäft“. Für uns ist es aber ein sehr wichtiges Standbein und die Basis unseres Erfolges. Mit keinen anderen Uhren treffen wir so viele Menschen und finden in ihnen Casio-Fans, die dann auch ihre positiven Erfahrungen an Folgegenerationen weitergeben.